INHALT

Wie alles anfing ...
Der Kleppermantel
Die Dame in Blau
Vater und Sohn auf dem Strom
Die leidigen Bootswagen oder Wie komme ich von A nach B?
Schlamm-Massel
Die Schöne Lau – ein modernes Märchen
Erlebtes
Eine Faltboot-Taufrede




Aller Anfang ist holprig
Es war Anfang der 1960er-Jahre auf einer Skihütte, als mein Freund und ich vom Paddelfieber gepackt wurden. Auslöser war eine Werbebroschüre der Firma Klepper (siehe Bild), die wir immer und immer wieder von vorne bis hinten durchschmökerten. Wir machten uns Notizen, sogen Bilder auf. Die Broschüre weckte Sehnsüchte »nach dem weiten Meer«, wie Antoine de Saint-Exupéry schrieb. Wir nannten das A5-Heft »Klepper-Bibel«. Auf der Titelseite zeigte sie den Almsee in Österreich, auf der eine behutete Dame im Faltboot sanft dahinglitt. Da wären wir gerne mit dabeigewesen.

In Gedanken paddelten wir auch den Amazonas herunter wie einst der berühmte Herbert Rittlinger oder erschlossen die 1000 Seenwelt Finnlands. Und wenn es nicht gleich so weit weg sein sollte, hatten wir doch Traumflüsse in heimatlicher Nähe, als da sind der Neckar und die Donau. Die Sehnsucht war also da, aber woher das liebe Geld nehmen zum Kauf eines Faltbootes? So richtig flüssig waren wir beide nicht. Um es kurz zu machen: Ein starkes Jahr später ließen wir uns bereits zur Jungfernfahrt zur Großen Lauter auf die Schwäbische Alb kutschieren. Dazwischen lag Arbeit, wobei der Freund den weit größeren Teil erschuftete (zum Teil bei einem Grabsteinbetrieb) und ein bisschen Anpumpen tat ein Übriges. Immer wieder hatten wir die »Klepper-Bibel« samt Preisliste betrachtet und addiert. Ein Aerius-Zweier wäre das Passende. Die Preise: Der Aerius kostete 845 Mark, das Fußsteuer 42,40, ein Paddel 25,90, die Packsäcke 81,10 DM. Für einen Bootswagen reichte das Geld noch nicht.
Klepper hatte das Boot pünktlich geliefert. Wir hatten es im Wohnzimmer unter Hinzuziehung der Betriebsanleitung und unter den staunenden Blicken der halben Verwandtschaft aufgebaut und – o Wunder – kein Teil war übriggeblieben. Mein Vater fuhr uns im Ford 12M zur Großen Lauter. Der Aufbau geriet wohl. Zur Jungferntaufe hatte die Rosenheimer Firma ein Fläschchen Piccolosekt mit in den Packsack gesteckt. Natürlich donnerten wir die Flasche nicht mit Schmackes an die Bordwand, denn erstens ist diese aus einer empfindlichem Gummi-Leinwand-Kombination und zweitens bekam das auf »Koli« getaufte Boot nur etwa die Hälfte des geringen Inhalts ab – den Rest teilten wir uns zu zweit, und drittens hatten wir keine hübsche Dame dabei, die diesen Festakt damit eröffnet hätte (wir waren noch unbeweibt) – und dann paddelten wir auf der großartigen Großen Lauter auf der Schwäbischen Alb. Unser Traum war wahr geworden. Das bezaubernde Flüsschen fließt ja in die Donau und dieser europäische Strom sollte später unsere erste größere wochenlange Tour werden. Davor lagen feine Episoden auf dem Bodensee und auf dem Neckar. Aber das sind andere Geschichten. 1965 wurde ich Mitglied im Deutschen Kanu-Verband, und zwar bei den Ulmer Kanufahrern (UKF). Ein Aerius-Einer namens »David« stieß später hinzu und für jeden von uns eine Frau.
Als unsere Familie größer wurde, brauchten wir zum Mannschaftstransport einen Canadier – unseren »Großen Bruder« – um die fröhliche Truppe hin und her zu bewegen. Im Jahr 2002 in Meißen an der Elbe im Schatten der Albrechtsburg und des Doms wurde unser neues Faltboot »Fero«getauft (siehe Bildchen) – und »Fero« trug uns äter gewordenes Ehepaar eine Woche vor dem verheerenden Hochwasser nordwärts. Unser erster Aerius-Zweier namens »Koli« (der Name kam von unserem jugendlichen Traumort im Osten Finnlands) tat viele Jahrzehnte dem Freund samt seiner Familie und uns – auch segelnd – seinen treuen Dienst, aber nach und nach wollte seine Haut nicht mehr so recht. So ein Faltboot ist halt auch nur ein Mensch ...




Der Kleppermantel
Erinnerungen - das sind Welten, aus denen wir nicht vertrieben werden können. Dazu eine Geschichte aus meiner jungen Faltbootzeit. Man schrieb 1964. Mein Freund und ich machten uns mit dem neuen Aerius II auf den Weg zum Neckar. Er mit Moped NSU-Quickly, ich mit dem Fahrrad. Die drei Packtaschen hatten wir irgendwie untergebracht – an das Wie kann ich mich nicht mehr erinnern. Es war ein schöner sonniger Tag. Am Fluss bei Neckartenzlingen angekommen, stellten wir unsere Fahrzeuge bei einer Tankstelle unter, bauten das Boot in der Hitze auf, dann nix wie runter mit den unnützen Klamotten, alles hinten rein gestopft und losgefahren. Es war super, genau wie erträumt. Doch bald versteckte sich die Sonne hinter ein paar Gewitterwolken. Unsere nicht fachmännischen Wetterprognosen »das zieht weiter« sollten nicht zutreffen. Punktgenau über uns leerte sich der Himmel und wir flüchteten unter eine Brücke. Das Gewitter glich einem Tropenguss. Sprich: wir wurden klitschenass und das Boot bekam das Element Wasser auch von innen zu spüren. »Es geht ja nur bis auf die Haut.« Eine Spritzdecke hatten wir noch nicht (des Geldmangels wegen) gekauft. Einen Kleiderbeutel hatten wir auch nicht dabei. Wer denkt denn schon bei sooo schönem Wetter an Regen? Rund drei Kilometer mussten wir noch flussauf paddeln und das Boot in strömendem Regen abbauen. Die gute Frau an der Tankstelle schenkte uns ihr volles Mitgefühl. So ausgestattet gings heimwärts, so an die 12 Kilometer. Die triefenden sommerlichen Gewänder kamen mit in die Packtaschen, nachdem wir sie kraftvoll ausgewrungen hatten. Der Regen hatte jetzt aufgehört, die Sonne traute sich wieder. Wir schlüpften in die berühmten Klepper-Mäntel, darunter nur eine nach und nach trocknende Badehose. Und geschwitzt haben wir trotz den berühmten Klepper-Lüftungsschlitzen. Es muss ein Bild für Götter gewesen sein, als wir unser Dorf wieder erreichten. Hoffentlich hat uns niemand erkannt. Jedenfalls so glaube ich mich zumindest zu erinnern - war das bei mir der letzte Einsatz des berühmten Klepper-Mantels (weiß der Kuckuck, wo wir die her hatten). Das gute Ding hatte sich zwischendurch noch in meine Fahrradkette hineingewurstelt. Voller Wut hatte ich dann daran gezogen ...


Die Dame in Blau
Irgendwo hatte ich es gelesen: »Alle Macht der Phantasie über die Vernunft beruht auf einem gewissen Grad an Wahnsinn.« Danach wusste ich es und mit jedem weiteren Paddelschlag wurde mir klarer: ich bin direktemang unterwegs in die Klapsmühle. Dabei hatte ich eigentlich gedacht, es sei die geliebte Donau, auf der ich paddle, von Riedlingen bis Munderkingen – ehrlich gesagt, meine Lieblings-Kurzstrecke. Aber nun ganz ehrlich und von Anfang an.
Es war Frühsommer, warm, angenehm, ich fühlte mich im Vollbesitz geistiger und körperlicher Kräfte und paddelte los. Ein, zwei Schläge, das Faltboot in die Strömung gedreht und erst mal laufen lassen, mich einstimmen auf das entschleunigende Tempo des Kanufahrers. Ruhig glitt das Boot dahin, mal ein korrigierender Schlag links oder rechts, vorbei an mächtigen Erlen und Weidenbüschen. Ob ich mal wieder einen Eisvogel sehen würde? Doch in den Zweigen tummelte sich zwar allerlei lustiges Federvieh, aber hauptsächlich hingen noch allerlei Überbleibsel vom letzten Hochwasser herum. Und wie ich so nichts denke und für mich dahingleite ist Sie da. Sie, eine Dame in Blau. Noch in weiter Ferne steht sie, aufgerichtet, direkt auf einer weit in den Fluss hinausragenden Wurzel und schaut zu mir. Sie, eine wohl junge Frau in angenehmen Proportionen, angetan mit einem langen blauen Kleidchen. Was sie wohl denkt und was hat sie vor? Ich nähere mich ihr langsam. Macht sie hier Picknick? Oder schaut sie nach einem günstigen Badeplatz und schwimmt bald elfengleich flussabwärts? Warm genug zum Bade wäre es ja. Hat sie einen Begleiter und was sage ich, wenn ich sie passiere? Sie beugt sich nach unten. Sie wird doch wohl nicht im Kleid in die Donau steigen? Je mehr ich mich ihr nähere, scheint sie doch älteren Datums zu sein (die Dame). Winkt Sie? Nein. Mal sehen, was sie weiter anstellt. Die Donau macht einen leichten Bogen. Ich denke, sie geht zurück zu ihrem Freund, sie hat mich gesehen und zieht sich erst mal zurück, sie ist bestimmt ein scheues, ein zartes Geschöpf mit Grübchen in den Wangen. Ein leichter Windhauch plustert ihr Kleid auf, wohl ein seidenes Nichts. Ich bin etwas verwirrt und beachte einen Weidenbusch nicht, der mich mit seinen Zweigen ins Leben zurückkitzelt. Aufpassen Albrecht, denke ich, und lenke das Boot zur Flussmitte. Und jetzt folgt die Enttäuschung meines Lebens: Nix Dame in Blau, nix, was eine in Sekundenschnelle galoppierende Phantasie sich ausspinnt, nix von all dem Schönen, Edlen, Romantischen: die Dame in Blau löst sich in Wohlgefallen auf. Das heißt nicht ganz in Wohlgefallen. Blau bleibt blau, nur die Dame verflüchtigt sich zu einem Etwas, zu einem Fetzen eines blauen Müllsacks, den das letzte Hochwasser kunstvoll hingepappt hatte. Der Fetzen, dieser Fetz, hatte mich genarrt. Seitdem weiß ich: Wenn Frauen von einem Fetzen sprechen, was dieser auch sein kann.






Vater und Sohn auf dem Strom - Eine Bootsfahrt auf der Donau 1988
Die Schulmappe fliegt in die Ecke. »Endlich Ferien«, atmet mein Sohn auf, und fragt »Hast du schon gepackt?« »Logo, das meiste.« In der Frühe des neuen Tages fahren wir los. Den treuen Klepper-Aerius II auf dem Autodach, die Siebensachen für einige Ferientage im Kofferraum, Mutter chauffiert uns in einer starken Stunde zur Donau. Von Beuron aus wollen wir, Vater und Sohn, auf dem noch jungen Strom bis Ulm paddeln.
Vom Knopfmacherfelsen aus – oberhalb von Beuron gelegen – genießen wir den Blick über das weite Tal, das eine um vieles mächtigere Ur-Donau einst ausgehobelt hat. Tief unten schlängelt sich der europäischste aller Flüsse, noch als zahmer Bach durch Halden und Wiesen. Im klaren Licht des frühen Tages liegt das Benediktinerkloster Beuron. Ich will was vorlesen, was aus der Geschichte, aber der Bub drängt auf raschen Aufbruch. Was sage ich Bub? Ein 13-jähriger kräftiger Junge ist er, gespannt auf die Bootstour.
Endlich sind wir auf dem Fluss bei gutem mittlerem Wasserstand. Vorbei ist das Umpacken. Rechts verschwindet Beuron mit seiner fast 1000-jährige Geschichte von Glaube und Forschung, aus unseren Augen. Kaum haben wir abgelegt, der Mutter Ade gesagt, dem »Und-auch-aufpassen« eine tröstende Antwort gegeben, uns auf das neue Umfeld, das sanfte Dahingleiten gewöhnt, da müssen wir schon wieder raus – arbeiten eben. Ein Wehr zwingt zum Umtragen. Mit dem treu gedienten Klepper-Bootswagen von 1964 mit seinen Hartgummireifen, hau-ruck, in die Hände spucken und mithelfenden Kanuten schaffen wir das Hindernis mit links. Überhaupt die Wehre. Sicher nützlich für Mühlen und gegen die Flusserosion. Aber wir Wasserwanderer haben andere Gedanken. Es mag ja gutmütige Wehre geben. Aber die meisten sind bockig, zwingen zu regelrechten »Expeditionen« über Steilufer, durch Brennesseln und kläffenden Hunden hindurch. Das Zählen der Wehre geben wir auf, an die 20 werden es bis Ulm schon gewesen sein.
Bald nach dem friedlichen Beuron schwebt zur Rechten die einst uneinnehmbare Burg Wildenstein, erinnernd an kampfdurchtobte Zeiten, aber auch an die hier verfasste und kulturgeschichtlich bedeutsame Zimmernsche Chronik. Ich erinnere mich an Merians eindrücklichen Stich und an Gustav Schwab, der in seinen »Wanderungen durch Schwaben« die Burg literarisch beschreibt. Und nach dem Zweiten Weltkrieg lehrte hier eine kurze Zeit der Philosoph Martin Heidegger. Nur einige Flussschleifen später, zur Linken, auf kühnem Fels, Schloss Werenwag.
Still gleiten wir in der Mitte auf dem klaren Fluss dahin. Das Paddel quergelegt, lassen wir uns von der mäßig fließenden Strömung mitnehmen. Wir befahren die Donau mit einem Weltrekord an Betulichkeit. Mal ein korrigierender Schlag, um das Boot in genügendem Abstand vom Ufer und der Welt der Vögel und Kleintiere zu halten, ab und zu ein paar Worte. Was soll man sagen, wenn die Natur redet. Stille fordert Stille. Stellenweise ist der Donaudurchbruch wildromantisch. Weiße Kalkfelsen ragen gen Himmel, eingefasst in frisches Buchengrün. Wortfetzen von kühnen Kletterern dringen ans Ohr. Ab und zu Autogeräusch. Über uns streiten sich zwei Bussarde. Vor uns eine steinerne Brücke, der Heilige Sankt Nepomuk, der Brückenheilige, schaut verklärt von uns weg.
Am Ende des Durchbruchs Dietfurt. Auf einem Felsklotz steht noch der Bergfried der ehemaligen Burg, des einstigen Wächters der Furt. Wir beschließen zu rasten. Hier ist’s gut sein, das Wirtshaus am Fluss bietet Flüssiges. Teufelsschlucht und Teufelsbrücke passieren wir unbeschadet. Nun weitet sich das Tal, der Fluss befreit sich von der Schwäbischen Alb. Vorbei an Inzigkofen dann der Ort Laiz. Die Spannung steigt: hier wollen wir die einzige Bootsgasse auf der oberen Donau befahren. Konzentriert paddeln wir auf die schmale Einfahrt zu, das Paddel längs gelegt und — schon nimmt uns eine flotte Strömung sicher mit. Viel Volks schaut zu. In einer Betonrinne schießen wir ins Unterwasser. »Das bringt's«, lobt der Sohn.
»Da vorne – Sigmaringen!« Unübersehbar und zwingend: das mächtige Schloss. Die Donau verringert ihre Fließgeschwindigkeit, als wolle sie uns zwingen, aufzuschauen und zu staunen. Wir erliegen dem Reiz des fürstlichen Berges, machen uns stadtfein, bestaunen Schloss und Altstadt, stärken uns (der Bub langt kräftg zu) und beschließen die Nacht unterm Sternenzelt.
Nach Sigmaringen ändert sich die Landschaft. Alb und Oberschwaben stoßen zusammen, bilden einen feinen Landschaftsakkord. Wir fühlen, dass hier der Fluss, mehr noch als im vergangenen Durchbruch, die Landschaft beseelt. Was ist schon eine Landschaft ohne Fluss? Im Dahingleiten über das Wasser, das hier noch sommerlich-leicht fließt, nicht unbekannt-unheimlich zieht, entspannen Geist und Sinn. Wie unendlich weit ist Arbeit und Schule.
Der Fluss ist unterhaltend: Das Licht spielt auf dem klaren Wasser, ständig neue Formen produzierend. Das Element verwandelt sich, erfreut Aug und Ohr, beflügelt die Phantasie. Mal lustige Kringel, mal skurrile Formen bildend, nie verharrend, sich ständig wandelnd, unterhaltend wie ein flackerndes Feuer. Zitternd, über blankgescheuerte Kiesel strömt es, bricht sich am Bug, streicht an der Bootswand entlang, umspielt Paddel und Heck. Der Fluss spricht: mal nur lispelnd am wippenden Halm, mal sich brechend an dem ihm trotzenden Fels, mal unheimlich und dunkler werdend im ziehenden Sog des Turbinenhauses. Der Fluss atmet: Frühmorgens, gleichsam vor dem Startschuss des neuen Tages, streichen Kühle und Nebel über das glatt ziehende Element. Der Fluss ist ein getreuer Knecht und ein strenger Herr zugleich, sagt ein altes Sprichwort. Das muss man wissen, wenn man sich ihm anvertraut. Und er erfrischt und belebt, ist Lebensraum für den erholungssuchenden Menschen, für Tier- und Vogelwelt.
Kurz nach Hundersingen verlassen wir das nasse Element, wandern zum »Hochmichele«, einer mächtigen Keltenburg. Nach der Rückkehr sind wir rechtschaffen müde und hungrig. Ein freundlicher Bauer erlaubt uns, das Zelt am Wiesenrand aufzuschlagen. Bald bruzzelt es in der Pfanne. Am Abendhimmel ziehen dunkle Wolken auf. Über uns der sirrende Flug wilder Enten. Wir sitzen vor dem Zelt, verdrücken das Gebratene - 's ischt Feierabend. Doch nun kommen die aufdringlichen Mücken, wir ziehen uns zurück. Erinnerungen an andere Fahrten tauchen auf. Ich erzähle von meiner ersten Donaufahrt auf dem meist noch frei fließenden Strom von Ulm bis Wien. Ich erzähle von Kapitän Romer und Hannes Lindemann, die mit Faltbooten über den Ozean fuhren, erzähle von Herbert Rittlinger, dem Weltreisenden im Boot, erzähle ... der Bub ist so still. Ein Blick zur Seite - mein Junge schläft selig. Draußen frischt der Wind auf und bald klatschen Regentropfen aufs Zelt. Morgen wird 's sicher wieder schön sein. Morgen werden wir in Riedlingen sein. Und übermorgen? Wir wissen's nicht. Bootfahrer sind wie Vagabunden.
Der Morgen ist frisch, die Wolken auf dem Weg ins Bayerische. Wir frühstücken stehend, das Gras ist nass. Gut, dann kneippen wir eben. Die Morgentoilette bemessen wir knapp. Sicher werden wir wieder zwischendurch baden und uns erfrischen können. Bald ist der Platz sauber, die Siebensachen wasserfest verpackt, es kann wieder auf die Reise gehen. Aus dem Kehrwasser paddeln wir in die Strömung, sie fasst uns, zwei, drei Schläge, wir drehen und sind wieder unterwegs. In Riedlingen wollen wir Pause machen. Unter den Orten, die sich an den Fluss schmiegen, hat sich dieses Städtchen den Hauch der Vergangenheit am besten bewahrt.
Viele Stunden lang sind wir noch unterwegs in unserem Aerius. Einer Perlenkette gleich sind sie aufgereiht, die kleinen und erhabenen Schönheiten am Fluss: die stillen Buchten, das verträumte Dorf, der prächtige Klosterbau. Und ausgerechnet hier beim Prämonstratenserkloster Obermarchtal, wo man eigentlich Segensreiches erwartet, passiert's: Der altgediente Bootswagen will nicht mehr, ein Rad knickt um. Mit Draht (seit Rittlinger’scher Empfehlung stets dabei) tut er es noch bis Ulm.
Wir passieren Angler mit stummem Gruß, beobachten Wasser und Ufer. Am Himmel ein stolzer Vogel mit langen, schlanken Flügeln. »Ist das nicht ein Turmfalke?« »Er rüttelt«, berichtigt der Herr Sohn. Eine gleißend-weiße Kiesbank lädt zum Verweilen und Steine hüpfen lassen. Unvorstellbar, dass hier einmal ein Kraftwerk stehen könnte. Nach Ehingen verschmutzt der Fluss zusehends. Jetzt zwingt uns der Rückstau der nun folgenden Kraftwerke, die Paddel kräftig einzusetzen.
Viele, viele Stunden später: Die Spitze des höchsten Kirchturmes der Welt kündet Ulm an. Von rechts schießt die Iller ihr weiß-kalkiges Wasser der Donau zu. Wir sind am Ziel und finden bei den Ulmer Kanufahrern freundliche Aufnahme. Die alte Freie Reichsstadt zeigt ihre Schokoladenseite. Die stolzen Bürgerhäuser mit den hohen Giebeln, der schiefe Metzgerturm, die Adlerbastei, von der aus der Schneider von Ulm seine Flugkunst zeigen musste und suboptimal und als Gespött endete, das Rathaus mit seiner astronomischen Uhr. Das Münster, der höchste Kirchturm der Welt, zieht uns an wie ein Magnet. Wir eilen durch das Fischerviertel. Keuchend steigen wir, ich, die vielen Turmstufen im Münster hinauf. Weit schweift der Blick über das Land, bleibt hängen am gleißenden Band der Donau. »Siehst du die Donau?« »Ja, unser Fluss.«
Nachbemerkung: Der Bericht beinhaltet die Zustände von 1988. Das ist lange her. Zwischenzeitlich haben Naturschutzbelange allerhöchste Priorität. Dagegen ist ja im Prinzip nichts einzuwenden. Wir haben im Gebiet der Oberen Donau, die landschaftlich eben phantastisch ist, eine absolute Übernutzung. Negativ beurteile ich die Entwicklung des gewerbsmäßigen Bootsfahrens. Laut johlende, fröhlich ihr »Eventle« feiernde Leute sind das absolute Gegenstück des verantwortlich fahrenden Paddlers, der allein oder in kleinen Gruppen still dahingleitet. Aus den ganzen Fehlentwicklungen (weil man nicht den Mut hat, gewerbsmäßigem Bootsfahren einen Riegel vorzuschieben) basteln dann unsere politisch Verantwortlichen ihre Vorschriften. Ich lese z.B. in der „Rechtsverordnung des Landratsamtes Biberach zur Regelung des Gemeingebrauchs auf der Donau“ (die Strecke von Binzwangen bis Zwiefaltendorf betreffend) vom 22. April 2010 den unglaublichen Satz: „Das Befahren der Donau ist ganzjährig vorbehaltlich der Regelungen in § 3 Nr. 2 und 3 verboten“. Zum Glück steht noch in besagtem Paragraphen 3 der Satz: „Für private Nutzer ist das Befahren der Donau täglich ab 9 Uhr zulässig, der Ausstieg muss bis spätestens 20 Uhr erfolgt sein. Eine Erlaubnis ist nicht erforderlich.“
Ab dem 1. Mai 2012 wurde das Bootfahren auf der Oberen Donau weiter reglementiert. Näheres: http://www.naturpark-obere-donau.de/bootregel-start.htm (Das betrifft die Strecke bis Binzwangen)
2. Nachtrag: Szenario im Jahr 2050: Der letzte frei paddelnde Exot wird (nachdem er sein altgedientes Holzpaddel laut Anweisung aus Brüssel umweltgerecht entsorgt hat) nach seinem daraufhin erfolgten jähen Ende präpariert und als Paddel-Ötzi ausgestellt.

(Erste Textfassung erschienen im Faltboot-Jahrbuch 2005/06, Faltenreich-Verlag)





Die leidigen Bootswagen oder Wie komme ich von A nach B?
Dass der Mensch ein soziales Wesen ist, braucht nicht extra erwähnt werden. Der Großvater meiner Gattin sorgte beim Bau seines Bauernhauses dafür, dass die Scheunenzufahrt deutlich erhöht über dem Niveau der Straße lag. Warum dies? »So kann ich die Nachbarn fragen, ob sie mir beim Hinaufschieben des Heuwagens nicht helfen könnten.« Ein Gedanke, der uns modernen Menschen nicht sofort einleuchtet.
Nun aber zur Falterei. Mein Freund und ich hatten in unserer frühen Falterzeit keinen Bootswagen. »Irgendwie geht das schon« redeten wir uns das ein und es ging auch »irgendwie«. Meist mühsam. »Gelobt sei, was hart macht« stand häufig unausgesprochen als Motto über unseren Unternehmungen. Dann lief man eben zigmal hin und her. »Die Faulen tragen sich gerne zu Tode.« »Das kaufen wir später« oder »Dieses Jahr ist am 24. Dezember Heiligabend, da kann man sich so was schenken lassen«.
Aber ehrlich gesagt, ohne Bootswagen stehst du da wie ein Depp. Keiner kommt zum »Heuwagenschieben« wie einstens beim Großvater. Zum ersten Male erfuhren mein Freund und ich die missliche Situation auf einer Tour auf der Großen Lauter, unterwegs zur Donau. Da standen wir nun am Ende des frei fließenden Flüsschens und es ging auf dem Wasserweg nicht einfach weiter. Ein Wehr leitete das Nass in einen scheußlichen Betonkanal, der alle paar Meter mit einer Betonklammer zusammengeheftet war (und immer noch ist). Es sei schon ein weites Stück Weg bis wir wieder einsetzen könnten, meinten ein paar Wanderer. Das half uns auch nicht weiter. Um neuen Herausforderungen zu trotzen, legten wir erst mal eine Vesperpause ein.
Auf einmal waren sie da, zwei Jungs auf ihren Fahrrädern, so 12 Jahre alt (die Buben). Meines Freundes graue Zellen arbeiteten schnell. Wie wär’s, wenn wir den Aerius auf einem ihrer Räder aufladen könnten, mit den Auflagepunkten Lenker und Sattel und einer von uns balanciert das Ganze aus und einer hält sich noch fest … Die Jungen nickten. Es klappte, nicht gleich, aber es klappte irgendwie. Das fast leere Boot bugsierten wir auf den Drahtesel – der Schwerpunkt war recht hoch – unser Schwerpunkt dafür umso tiefer, mussten wir doch das Zelt und die »Fresskiste« und die vielen anderen Utensilien mitschleppen, wobei Rad Numero 2 wertvolle Dienste leistete. Die beiden Jungs trugen mit. Es war für die beiden ein richtiges Abenteuer auf den wohl zwei Kilometern, bis das Flüsslein unser Boot wieder forttrug. Wir bezahlten mit Schokolade, den wir uns eigentlich eigens für die Abende aufgespart hatten. Zurückwinkend verließen wir die beiden. Ich bin heute der festen Überzeugung, dass wir die Faltboot­sache ganz wesentlich gefördert haben …
Ein anderes Mal – und davon zeugt das historische Schwarzweiß-Bild – half mir sonntags ein freundlicher älterer Herr aus Hettingen an der Lauchert. Wie selbstverständlich bot er seine Hilfe an. Er habe ein Handwägelchen und da könne man das blaue Böötle doch aufladen … Gesagt, getan. Gerne willigte ich ein, er holte seinen »Bootswagen« und wir beiden wanderten durch Baden-Württembergs zweitkleinstes Städtchen. »Ja, was machst denn du?« fragte immer wieder einer und jeder Fragende bekam die Antwort, dass der junge Mann da Hilfe brauche und er hätte ja ein Handwägele ... Ob das sein Enkel sei, fragte einer und der gute Mann verneinte. Dann sprachen die beiden noch ein Weilchen miteinander über dies und jenes. Ich wartete geduldig, beantwortete auch manche Frage nach dem Woher und dem Wohin. Zwischenzeitlich kamen immer mehr Kinder, um dem skurrilen Transportunternehmen beizuwohnen. Alleine hatte ich ausgebootet und umgeben von lauter freundlicher Bevölkerung wieder eingebootet. Das Ganze hatte nicht mal eine Stunde gedauert, es mögen wohl 800 Meter Transportstrecke gewesen sein. Ein fröhlicher Gruß noch und ich paddelte weiter. Heute bin ich der festen Überzeugung, dass ich die Faltboot­sache ganz wesentlich gefördert habe …
Nun zum Wesentlichen. Ich behaupte ganz frech: Wer einen Bootswagen besitzt, verarmt sozial, denn er schließt die Anteilnahme Hilfswilliger willentlich aus. Oder positiv gesagt: Ohne Bootswagen brauche ich ein Gegenüber, jemanden – möglichst eine kräftige, möglichst bildhübsche und kluge Frau – die freudebewegt mithilft, mein Gelumpe von A nach B zu bringen. Vielleicht fragt sie vorsichtig an, ob sie ein Stückchen mitfahren könnte, eventuell, gegebenfalls, unter Umständen, wenn es geht ...? Aber ich fahre einen Einer und merke, dass ich träume.


Schlamm-Massel
Paddeln im gleichen Takt schafft Harmonie, es gleicht irgendwie beschwingtem Tanzen mit dem Traumpartner (wenn man und frau es denn kann). Es war in späten 1960er Jahren: Frohgelaunt gleiten mein Paddelfreund und ich bei unserer Frühlings-Gepäckfahrt auf der Donau im Gleichtakt dahin, Öpfingen zur Linken haben wir passiert und nun befinden wir uns auf dem angestauten und sich erweiternden Stausee, einem Paradies für allerlei Getier.
Dass man müde wird vom langen Paddeln ist klar. Aber dass man paddelt »ohne Schmackes«, das will mir nicht ganz einleuchten. »Willst du nicht mehr oder kannst du nicht mehr?« »Ich dachte, du willst nicht mehr …!« Das Beschwingte in unserer Stimmung schwindet rasch. Was ist los? Unser Paddeln – nun bewusst und kräftig eingesetzt – bringt uns kaum mehr vorwärts. Das darf doch nicht wahr sein – wir sitzen fest. Besser ausgedrückt: irgendwie scheinen wir festzukleben. Das Paddel, nun als Tiefenmesser eingesetzt, vermeldet nach wenigen Zentimetern unter der trüb-grauen Wasseroberfläche Schlick oder »weiß der Geier was«. Wir müssen zurück! Aber retour zu kommen, das war leichter gesagt als getan. Nur zentimeterweise gelingt dies ob seiner seltsamen Technik und wir verwerfen diese Schnapsidee. Wir müssen unbedingt wenden, um mit starkem Krafteinsatz aus dem Schlamm-Massel herauszukommen. Den Gedanken an aussteigen, schwimmen, Boot schieben oder Ähnliches verwerfen wir augenblicklich. Wir wollen ja überleben. Hilfe von sonstwoher ist nicht in Sicht. »Oder sollen wir unser (schweres) Zelt herausnehmen und es (im Packsack) schwimmen lassen?« Wir trauten dem Sack nicht zu, dass er wasserdicht ist – also Nein! Wenden. Um es kurz zu machen: das war ein hartes Stück Arbeit und dann »Hau ruck« – nichts war mehr mit »frohgelaunt« und »Harmonie« und »beschwingt«. Endlich: unser Faltboot schob sich äußerst mühsam donauaufwärts … wir waren »vom Schlamme befreit«, weniger durch »des Frühlings holden belebenden Blick« wie bei Schöngeist Goethe, sondern gemäß dem paddelnahen Wort unseres schwäbischen Dichters Schiller: »Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß«.
Wohl eine Stunde haben wir gekämpft, um wieder in freies Fahrwasser zu kommen. Es waren hauptsächlich Zellulose-Abfälle aus einer Papierfabrik in Ehingen, die uns dieses Erlebnis beschert hatte. Im grauen DKV-Fluss-und Zeltwanderbuch machte ich mir einen sachdienlichen Hinweis. Bis heute hat sich das Erlebnis im Öpfinger Flachwasser-Schlamm-Massel in mein Paddelgedächtnis eingegraben.


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Die schöne Lau und mein Senf – Ein Faltboot-Märchen aus neuer Zeit
Von Nicht-Faltbootfahrer Eduard Mörike ist die wunderliche Historie von der »schönen Lau« aus Blaubeuren überliefert, deren Refugium der betörende Blautopf ist, der selbst altehrwürdige Gemäuer wie das Kloster auf den Kopf stellt und aus deren Quelltopf das Flüsschen Blau quillt. Das muntere Bächlein lässt sich Zeit, bis es sich nach kurzem Lauf freiwillig im Donaufluss in der Schneiderstadt Ulm ersäuft. Erst fließt es fröhlich mäandrierend durch eine beschauliche Gegend der Schwäbischen Alb. Für Faltbootfahrer bietet es einen kurzen Genuss, der aber auch tief und betörend sein kann – es ist wohl der Zauber der Schönen Lau, der meilenweit nachwirkt. Denn die Schöne Lau war »eine Wasserfrau mit langen fließenden Haaren. Ihr Leib war allenthalben wie eines schönen, natürlichen Weibs, dies eine ausgenommen, dass sie zwischen den Fingern und Zehen eine Schwimmhaut hatte, blühweiß und zarter als ein Blatt vom Mohn. Im Städtlein Blaubeuren ist ... noch ein Bildnis von dem Wasserweib, trotz Rauch und Alter noch wohl kenntlich in den Farben. Da hatte sie die Hände kreuzweis auf die Brust gelegt, ihr Angesicht sah weißlich, das Haupthaar schwarz, die Augen aber, welche sehr groß waren, blau ...« So weit der Dichterfürst, der in dem weltberühmten Märchen davon berichtet. Wenn kein Mensch in der Nähe war, kam die Schöne Lau »am lichten Tag mit halbem Leib herauf und horchte« auf betörende Orgeltöne aus dem nahen Kloster; »dabei trug sie zuweilen einen Kranz von breiten Blättern auf dem Kopf und auch dergleichen um den Hals.« Nun haben wir alle Stichwörter, die in wunderlicher Weise für die folgende Geschichte benötigt werden. 
Zuerst besuchte meine Angebetete und ich die schöne Dame und ihr betörendes Reich, staunten über das tiefe Blau der Lau'schen Quelle, ließen den Blick über den kalten Stein gleiten, aus dem ein begnadeter Künstler die Hauptperson mit zartem Busen geformt hatte. Meinen Blick vom Steinbusen zu ihrem wahren quittierte sie leicht errötend. Die alte Agfa Silette hielt die kopfstehende Klosterkirche noch analog fest, wie sie sich im türkisblauen Wasser spiegelte, aber kein Orgelklang drang an unser Ohr. Nach kleinem Imbiss mit Wiener Würstchen fuhren wir zum Flüsschen Blau. Und bald nahmen unsere beiden Einer Kurve um Kurve. Mein Boot und ihr Kahn in trauter Zweisamkeit. Wir waren recht fröhlich, sie noch fröhlicher als ich. Sommer wars, wir waren jung, es war warm und das Leben war schön. Die Gegend präsentierte sich recht einsam und still, nur wenn sich das Flüsschen naseweis der Straße näherte, störten die Fahrgeräusche der vorbeibrausenden Fahrzeuge unsere stille Genussfahrt. So ging es dahin - Falterfahrern braucht dies nicht extra beschrieben werden. Es bleibt unser Geheimnis. Ein paar vorwitzige Weidenbüsche hängten sich weit über, als wollten sie unser Kommen den Enten vermelden. Unter unseren flink dahingleitenden Booten schlängelten sich frischgrünende Wasserpflanzen im Wasserstrom gleich der Wasserfrau mit ihren langen fließenden Haaren. Nach einiger Zeit meldete sich der Hunger, wir legten an, aßen ein wenig (sie noch weniger) und ich sprach von meinen Plänen, sie von ihrer Freundin. Dann schauten wir eine Weile der Himmelsbläue und den vorbeisegelnden weißen Wölkchen zu, ihre Haut war sanft und alles war gut. Ein paar Viertelstündchen später war es anders: Sie war etwas unvorsichtig gewesen, hielt sich an einem Gebüsch fest und schwupps war es geschehen: die Angebetete ward nicht mehr gesehen. Einfach weg war sie. Und dann tauchte sie auf und ich musste lachen: Die Hände hatte sie kreuzweise über den zarten Busen gelegt, das Gesicht sah weißlich, ihr Leib war das eines schönen, natürlichen »Weibes«, das Haupthaar schwarz, über dem ein Kranz von triefendem Grünzeug hing, die Augen aber, welche sehr groß war, schauten verduzt. »Genau wie bei der Schönen Lau« scherzte ich unvorsichtigerweise und muss wohl irgendwie von Fahrfehler gesprochen haben. Da geiferte sie »Da brauchst du gar nicht zu lachen und immer musst du deinen Senf dazu geben ... und überhaupt -– dreh dich um!" Unsere sommerselige Fahrt wurde kürzer als geplant. 




Erlebtes
Unterwegs auf der Donau müssen wir an der Wehranlage Obermarchtal umsetzen. Warum, will die kluge Jule (6) wissen. Mit den Erklärungen der Großeltern, dass das Wasser zur Stromgewinnung in einem Kraftwerk benötigt wird, gibt sie sich zufrieden. Einige Zeit später erreichen wir wieder den in die Donau einmündenden Kanal und schauen zurück zum brummenden Kraftwerk. Dann Jule: »Gell Opa, wenn wir da durchgefahren wären, dann wären wir jetzt Strom!«

Es war dort, wo Werra und Fulda sich küssen, sprich die Weser wird. Ich beim Aufbauen des Faltbootes. Ein kleines Häuflein Interessierter schaut zu. Nachdem das Boot seine endgültige Form erreicht hat, geht es an das Verstauen des Gepäcks. Zum bereits vorhandenen Fachpublikum gesellt sich ein älterer Herr, fragt ein paar Sachen, fast besorgt sein Stirnrunzeln: »Passt das alles rein?« Ich bejahe und verweise nur auf den hinten aufgeschnallten Bootswagen als einzigem »Außengepäck«. Bald stößt zu ihm noch seine Frau hinzu, die ihn – von mir nicht gehört – wohl zu meiner Ladung befragt. Seine Erklärung vernehme ich: »Es passt alles rein, das Boot ist ja hohl!« PS: Jahre nach dem Erlebten las ich Ähnliches bei Rittlinger.

Von Freunden erzählt: Vater und kleiner Sohn sind unterwegs im Boot auf einem rasch fließenden Fluss. »Papa, da vorne müssen wir aufpassen, da kommt ein Stromschlag!« Gemeint war: eine Stromschnelle.



Taufrede
gehalten von m. W. anlässlich der Bootstaufe des Faltbootes von Helmut und Gisela namens „OLASSHALTA“ im August 2011, Iznang am Bodensee

Solide gebaut aus Gummi und Holz
Steht’s vor uns in seinem Stolz.
Es ist ein Klepper – schlank und rank.
Der Firma dafür: herzlichen Dank.
Das Boot ist untenrum ganz dicht
Nur einen Namen hat’s noch nicht.
Einen Namen muss das gute Stück ja tragen
Höre ich die Freunde sagen.
Namen machen schnell die Runde
Doch nach langem Suchen blieb die Kunde:
Da ist nichts was richtig pfiffig klingt,
uns und andern in die Augen springt.
So gingen die Wochen namenlos ins Land
Weil sich partout nichts Passendes fand.
Bis eben zu Gises 60. Ehrentag
Da gabs, aus nem Sack, den Alternativvorschlag.
Lara (Enkelin, d.R.) zog den Namen aus weißem Versteck
Und höret den Namen, das ist der Gäck!
OLASSHALTA prangt nun auf dem Bug,
ein Name, wie ihn kein Boot zuvor trug.
Der Name verrät – und da bin ich sicher –
Das Boot geht ab „wie der Blücher“
Vorausgesetzt: ihr gebt ihm genug Schwung
Das klappt, ihr seid ja noch jung.
Und wollt ihr bewirken einen noblen Halt
Machts bitte nicht mit roher Gewalt.
Denn so ein Faltboot gleicht ner edlen Frau
Die wills ja zärtlich, nicht wie die Sau.

Nun, frischgetauft und wohlbestellt
Lockt die Ferne, lockt die Welt.
Wir wünschen euch viel Meilen-Glück
Mit eurem OLASSHALTA, dem noblen Stück.
Und fragt ihr, wohin könnt ne Reise gehn
So woll’n wir mal ein paar Reviere besehn:
Immer lohnend lockt das Schwäb’sche Meer,
nur ist’s da nicht menschenleer.
Lieber an den Elbestrand
Der ist euch ja schon bekannt.
Der Strom ist immer ein Genuss
Ich möchte sagen, er ist ein Muss!
Viele loben die liebliche Lahn,
die fließt gemütlich, ist ganz zahm.
Und soll es mal flotter sein
Paddelt auf dem Vater Rhein.
Vergesst nicht die Mosel, die Tochter des Rheins.
Geschlungenes Paddeln, dank goldenem Wein.
Genießt an der Nahe viel köstliche Tropfen
An der Isar das Getränk, gekocht aus Hopfen
Speiset in Buda und Pest Gulasch mit Reis
Schlotzet am See namens Garda Gelati (Eis).
Trinket des Bacchus köstliche Gab‘
An Neckar, Main und Naab.
Wie wärs mit ner Tour auf der Moldau
Oder – nicht so weit – auf der Donau?
Zieht’s euch an der Saale hellen Strande
Oder gar in fern’re Lande?
Schweden lockt mit vielen Seen
Und auch in Finnland ist’s sehr schön.
Auch im Nachbarlande namens Polen
Könnt ihr euch wunderbar erholen,
wenn ihr – vom Auto befreit –
heimwärts paddelt, s‘ dauert halt seine Zeit.
Oder – wie wie wär’s mit einer Fahrt auf der Lauter?
Was meint ihr, Herr und Frau S...er?
So reiht ihr im hohen Alter perlengleich
Flüsse und Seen auf, auch manchen Teich
den ihr bezwungen, mutig und locker.
Da reißt’s die bucklig Verwandtschaft sicher vom Hocker.
Erzählt ihr vom Paddeln auf dem Ognon,
mal ehrlich, wer kennt den schon?

Nun, da das Boot den Namen hat erhalten
Gibt’s ja überhaupt kein Halten.
Fahrt hinaus, kehrt freudetrunken zurück.
OLASSHALTA soll spenden viel Glück
Fahrt fröhlich in die weite Welt
Mit Klepperboot und ganz viel Geld.

(Hinweis für Faltbootfreunde. die eine Taufrede halten müssen: dieser Text darf gerne frei verwendet und abgeändert werden! - eine E-Mail würde mich freuen.)